04°51´ N / 52°17´ W

Marina Degrade de Cannes im Fluß “Mahury“ (French Guyana)

03. März 2008

 

 

Liebe Freunde der flow-Crew,

 

Anne hat mal einen Tagesablauf auf dem Atlantik niedergeschrieben. Da bekommt Ihr eine Vorstellung von den Dingen, auf die man während der Nacht oder sogar am Tag achtet. Es läuft wirklich komplett anders ab als ein Tag bei Euch an Land.

 

 

Vierundzwanzig Stunden auf dem Atlantischen Ozean

 

Gedankenschnipsel

 

 

... Zähneputzen über der Reling vor der Dämmerung. Abendstimmung. Sonnenuntergang. Der Mond hoch am Himmel. Das Dunkel der Wellen. Hoffnung auf eine ruhige Nacht, die schnell vorbeigeht. Alles ist verstaut und klar für die Nacht. Sind die Schleppangeln auch eingeholt? Erste Wache von 20 bis 22 Uhr. Armaturenlicht an, später auch das Top-Blinklicht auf dem Mast und Radardetektor. Immer wieder checken, ob der Kurs stimmt. Sonst Frau Mangold leicht zupfen. Unter der Sprayhood ist´s gemütlich. Das gibt Schutz und Geborgenheit. Die ersten Sterne. Kurs-Check. Alles gut. Fahrt 6,2 Knoten. Super. Kein Schiff sonst. Nix. Marcus schläft. Gut. Warmer Wind um 20 Grad – und es ist Mitte Januar. Denke an den Winter zu Hause. Noch 8 Breitengrade bis zum Äquator. Mondlicht auf dem Meer, obwohl gerade Neumond ist. Ab und zu schickt die See Spritzer aufs Schiff. Die Uhr schlägt zum ersten Mal – eine halbe Stunde um. Das ist schön mit dem Mondlicht. Ein kleiner Trost für das fehlende Tageslicht. Um wie vieles alles, aber auch wirklich alles, einfacher ist am Tage! Die Nacht sollte doch einfach nur zum Schlafen da sein. Zu nichts Anderem, auch nicht zum Segeln. Aber wer über die Ozeane segeln will ... da ist es: sobald es dunkel ist, kommen die philosophischen Gedanken. Je später die Stunde, desto klarer wird der Kopf. Mein Gott, diese Schaukelei! Manchmal bricht sich eine Welle in unserer Nähe und dann ist nur Gischt um uns wie ein großes Brausetablettengesprudel. Die Uhr schlägt zum zweiten Mal – eine Stunde um. Ziehen da Wolken auf? Nimmt der Wind zu? Beobachten mit allen Sinnen. Mal ein Schluck Wasser. Das erste Gähnen. Die Uhr schlägt zum dritten Mal – die letzte halbe Stunde der Wache. Gut. Ich freu mich auf die Koje. Marcus ist munter. Schon etwas eher als notwendig. Aber bei dieser Schaukelei ... Lieber ein kleineres Segel, dann steuert Frau Mangold das Schiff besser. Also Segelwechsel. Genua runter, Fock rauf. Viel Arbeit für Marcus auf dem Vorschiff. Ich bin am Steuer. Das dauert 50 Minuten. Jetzt passt es besser. Ich kann in die Koje. Träume im Halbschlaf. Marcus funkt wie jede Nacht mit unserem persönlichen Wetterstudio Norbert in Berlin. Doch die Verbindung will nicht klappen. Er probiert alles. Der Computer verbraucht viel Strom. Deshalb müssen wir den Motor starten. Ich döse trotzdem beim Volvo-Tuckern. Nach einer halben Stunden Motor aus. Weitere Funkversuche. Ich darf solange noch schlafen. Ach, hab ich´s gut! Halb drei morgens hat der völlig übermüdete Marcus alles gesendet und empfangen. Endlich in die Koje. Meine zweite Nachtwache beginnt. Der Mond ist im Meer versunken. Nun ist das geheimnisvolle Flimmern dieser mondlosen klaren Nächte wieder einmal perfekt. Am Himmel das Funkeln der Sterne und die wunderbare Milchstraße. Das Phantastische daran: Der gesamte Himmel. Unverbaut. Ohne jegliche Begrenzung. Und im Ozean das Glimmen und Glühen von unzähligen phosphoreszierenden – ja was nur? – ich nenn es mal Teilchen. Unser Kielwasser und die Gischt um uns leuchten neonfarben. Märchenhaft. Was macht der Kurs? Stimmt. Darauf einen Schluck Wasser. Für dieses nächtliche Gefunkel bin ich ganz dankbar. Ein wunderbares Schauspiel der Natur. Ah, die Uhr schlägt. Verdammt, diese Müdigkeit. Durchhalten! Da hilft, wenn´s dann ganz hart wird, nur noch Twix. Ein Stäbchen in ganz ganz winzigen Portiönchen hält bis zum Ende der Wache. Und dazu tausend Gedanken. Endloses Kramen in Erinnerungen. Was da alles zum Vorschein kommt! Alles gut verpackt in Schachteln und Schächtelchen (natürlich!): Kindheit, Jugend ... Noch nie hatte ich soviel Gelegenheit, da ´rein zu gucken wie in diesen Nächten auf See. Ein großes Revuepassieren. Stimmt der Kurs noch? Ja. Da! Plötzlich dieses „Pffff“, wenn Delfine atmen. Bin sofort hellwach. Ich sehe die Leuchtspur im Wasser. Sie schwimmen mit der `flow um die Wette. Herrlich! Es ist immer wieder wie ein Geschenk, diese Tiere zu erleben. Ein fliegender Fisch landet an Deck. Ich höre ihn zappeln und rieche ihn. Zum Glück hopst er allein wieder über Bord. Hier is was los! Aber so vergeht die Zeit schön schnell. Die Uhr wieder. Kurs Brasilien. Verrückt! „Nur“ noch etwas mehr als 400 Seemeilen von über 2000. Noch drei oder vier Tage. Und Nächte! Dann sind wir über den Atlantischen Ozean gesegelt. So, nu isses Twix alle, aber die Wache noch ni um. Hm. Dumm gelaufen. Zum Trost schickt mir jemand eine wunderschöne Sternschnuppe mit langem Schweif. Ich wünsche mir ... Twix. Nein, nein. Geheimnis. Marcus schläft. Jetzt eine „Dolce Pizza“ vom Nollendorfplatz! Das wär Klasse. Gedankenstrudel. Die Uhr schlägt. Jetzt kann ich in die Koje. Marcus kommt verschlafen raus. Sechs Uhr... Acht Uhr. Wir rollen in den Wellen, die sich unaufhörlich von hinten heranschieben. Erstes Tageslicht. Konfuser Seegang. Die Sonne ist zwischen Regenwolken am Horizont. Regenschauer. Wieder sind etliche fliegende Fische an Deck gelandet. Nun sind sie leider alle tot. Immer wieder mal danke ich Frau Mangold für ihre vorzügliche Arbeit. Ich bewundere die Segler, die alles von Hand steuern. Zwölfter Tag auf See für uns. Schleppangeln wieder raus. Der Kapitän lädt zum Frühstückskaffee. Dazu Zwieback mit Nutella. Ein kleines Fest. Dazu scheint zum Glück die Sonne und der warme tropische Wind weht. So trocknet alles schnell von der Feuchtigkeit der Nacht. Sonnenenergie. Sonne für die Seele. Der Passatwind ändert immer mal leicht seine Richtung. Marcus stellt die Windfahne neu ein. Lesen im Segellexikon über die Strömungen und Winde am Äquator. Haben Gegenströmung. Mittags kommt die Müdigkeit. An der Angel noch nix. Wo sind sie, die leckeren Doraden? Mittags Funkrunde der Atlantiksegler. Marcus macht das immer souveräner. Danach Funkplausch mit einer holländischen Crew. Bei Frau Mangold muss eine Leine erneuert werden. Ich bin am Steuer. Danach gibt’s endlich Nudeln! Das Solarpanell in die Sonne legen. Position in die Seekarte. Neue Segelstellung ausprobieren passend zu Wellen und Kurs. Eine Mütze Schlaf für mich. Kaffee und was Süßes für uns beide. An der Brasilienflagge weiternähen bis zum Abendbrot. Und zwischendurch immer mal einen Blick auf die Angeln werfen. Süppchen und leckeres dunkles Vollkornbrot. Geschirr spülen. Zähneputzen über der Reling ....

 

 

 

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p.s. So war es am 11. und 12. Januar 2008. Dieser Ablauf wird sich so nie wiederholen. Auf See ist es wie „im wirklichen Leben“, kein Tag und keine Nacht ist gleich. Vorallem die Wetterbedingungen bestimmen den Lauf der Dinge. Von Ruhe bis Turbulenz ist alles möglich - manchmal von einer Sekunde auf die andere. Auch das macht das Segeln so spannend und aufregend.