04°51´ N / 52°17´ W

Marina Degrade de Cannes im Fluß “Mahury“ (French Guyana)

03. März 2008

 

 

Liebe Freunde der flow-Crew,

 

in diesem achten Reisebericht fahrt Ihr mit der flow über den Atlantik. Hier gibt es die ganze Geschichte unserer 18-tägigen Überquerung schwarz auf weiß mit den Hintergründen unseres Abstechers von der „Hauptstrasse“ in die Karibik ...

 

02. Januar 2008 – 18. Januar 2008 – Atlantiküberquerung

Bevor wir die Reise antraten, fotografierten wir uns noch glücklich und zufrieden an Bord der flow. Im Hintergrund sieht man die ca. 200 Meter hohe steile Felswand, die der Bucht Tarrafal soviel Schutz vor dem Nordostwind gab.

 

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Am 02. Januar 2008 um 10:00 Uhr Ortszeit zog Marcus die Ankerkette Stück für Stück nach oben. Wir waren gespannt über den Ausgang dieses Manövers. Zum Glück ging der Anker ohne Probleme nach oben. Wir deuteten dies als ein gutes Zeichen. Dennoch traten wir die Reise mit gemischten Gefühlen an. Anne stellte sich vorsichtshalber auf vier Wochen auf See ein und Marcus hoffte auf eine schnelle Überquerung in 18 bis 20 Tagen. Unsere längste Reise war bisher zu den Kapverden. Diese sieben Tage empfanden wir als sehr angenehm und nicht anstrengend. Wir segelten ja auch tagelang mit ein und der selben Segelstellung. Wir hofften, dass wir solch ein Glück mit dem Wind auch auf der jetzigen Reise haben würden. Wir glaubten auch ganz fest daran, dass uns der berühmte flow nach ein paar Tagen auf dem Wasser erfasst und wir dann gar nicht mehr merken, wie schnell die Tage so dahinfliegen...

 

Ja, was ging uns auf den ersten paar Meilen so durch den Kopf? Am meisten empfanden wir beide etwas Stolz. Stolz, dass wir es geschafft hatten, innerhalb von eineinhalb Jahren solch ein Unternehmen auf die Beine zu stellen. In dieser Zeit drehte sich wirklich alles um die Vorbereitungen der Reise. Es fing beim Kauf des Schiffes an. Durch Anne, die alle Anzeigen studierte und den Schriftverkehr bewältigte, konnten wir ein wundervolles Schiff nach nur einem Monat Suche finden. Das ist vermutlich ein Rekord, manche Segler suchen drei bis vier Jahre nach dem richtigen Schiff für eine längere Reise. Wir nannten sie ´flow´ und mit der Hilfe von Freunden wurde einiges für die Reise umgebaut. In dieser Zeit unterstütze uns auch Reinhard Schönberg enorm. Er verbrachte mehrere Wochen in Helgoland auf der flow. Zuvor wurde von ihm das neue elektrische Bordnetz nach unseren Wünschen geplant und anschließend eingebaut. Die Wochen, vor allem die Wochenenden, verbrachten wir mit Preisvergleichen der einzelnen Schiffausrüster, Bestellungen, Fahrten zu Leuten, von denen wir secondhand Ausrüstung kauften. Voller Dankbarkeit dachten wir auch an die Freunde, die uns in Berlin und Dresden während der Vorbereitungszeit mit Rat und Tat zur Seite standen.

All solche Gedankenschnipsel wuselten durch die Köpfe. Wir fühlten beide ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Ja, es passiert nun das, was wir uns solange gewünscht haben – eine Reise auf die andere Seite des Atlantiks und noch weiter....

 

 

Die ersten paar Meilen mussten wir motoren, weil wir uns noch im Windschatten der hohen Berge befanden. Unsere Batterien freuten sich darüber. Langsam kam Wind auf, der zum Segeln auch ausreichte. Es war aber nicht der bekannte Nordost-Passat. Nein, wir mussten gegen den Wind kreuzen und er wechselte auch noch ständig die Stärke und Richtung. Also steuerten wir die ersten fünf Stunden von Hand.

Doch plötzlich blies der NO-Passat um unsere Ohren – und das gleich mit sieben Windstärken. Wir setzten die dafür richtige Besegelung und ab ging die Fahrt unter Frau Mangold, unserer bewährten Windfahnensteuerfrau. Da der Wind doch immer mal drehte, hatte die Seefrau Anne immer mal ein Auge auf Frau Mangold und den Kurs. Anne zupfte dann einfach an den Steuerseilen der Frau Mangold bis der Kurs wieder anlag.

 

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In den ersten beiden Tagen merkten wir, dass uns noch die Seebeine fehlten. Uns war auf der schaukeligen flow nicht zum Kochen zu Mute, da der Wind mit sieben Windstärken blies, ab und zu Regenschauer über uns hinwegzogen und die Wellen das Segeln recht ungemütlich machten. Ein Engländer, mit dem wir in Funkkontakt standen, bezeichnete die See als „rough“. Dem konnten wir nur zustimmen. Doch wir machten super Fahrt...

 

Dank eines Radarwarners verbrachten wir die Nächte oft gemeinsam unter Deck. Derjenige, der gerade Wache hatte, schlummerte am Niedergang vor sich hin und schaute aller halben Stunden nach dem Rechten. Der Radarwarner empfängt nur Radarwellen, die von Schiffen ausgesandt werden und sendet selber keine aus. Dann hätte man sich ein Radar kaufen müssen. Da die großen Frachter ihr Radargerät meistens laufen lassen, wurden wir bisher immer rechtzeitig gewarnt.

 

 

Am dritten Reisetag entschieden wir uns, nach Guadeloupe zu segeln. Da wir nun nicht mehr Ende März am Panamakanal sein müssen (wir gönnen uns ja ab jetzt mehr Zeit für ausgiebigere Entdeckungen), verlegten wir das Ziel noch etwas nördlicher von Dominica, um mehr von der Karibik zu sehen. Also neuer Kurs: Guadeloupe. Das zweite Highlight an diesem Tag war unser erster Fisch. Er ließ nicht lange auf sich warten: Angel rein, Fisch dran, Angel raus... eine Goldmakrele.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Am Abend verspeisten wir den Fisch mit großem Genuß. Anfangs nahm Marcus die Fische aus. Wir wollten nichts wegwerfen und so viel wie möglich vom Fisch verzehren. Später wechselten wir, wie so viele Segler, zum Abschneiden der Filetstückchen und hatten so noch mehr Appetit beim Essen.

 

 

Von Norbert, dem Berliner Amateurfunker, bekamen wir jeden Tag einen erstklassigen Wetterbericht. Er teilte das Gebiet Richtung Karibik in Quadranten auf, die er mit Buchstaben versah, um auf schnellem Wege die Wetterdaten zuordnen zu können.

 

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Über Norbert war es auch möglich, unsere Position jeden Tag per Mail zu melden. Ganz einfach ausgedrückt, wurden die Mails per Funk (Kurzwelle) übertragen. Dazu braucht man einen Transreceiver, ein Modem, einen Laptop und die entsprechende Software. Die Übertragung ist aber sehr langsam: max. 2.400 Bytes/Minute. Für kurze Textmeldungen reicht es allemal.

 

 

Das war möglich, weil Marcus ein entsprechendes Amateurfunkzeugnis hat. Er besuchte vor unserer Reise einen Funklehrgang bei Norbert und bestand die schwere Prüfung. Norbert richtete ihm auf dem Laptop alles Notwendige ein, um Mails versenden und empfangen zu können. Diese Art der Kommunikation gab uns viel Sicherheit auf der Reise und wir funkten daher auch kein großes Schiff an, um nach einem Wetterbericht zu fragen. Nun ja, auf der ganzen Fahrt sahen wir eh nur drei große Schiffe in einiger Entfernung.

 

 

Und dann endlich, am vierten Tag, war die Sonne zu sehen und das Segeln wurde zur Wonne.

 

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Die Tage fingen meistens mit einem Müsli und frischer „frischli“-Milch von den Kapverden an. Kaffee für Anne und Tee für Marcus. Dann flog der Tag so dahin. Manchmal schon früh am Morgen, jedoch spätestens am Nachmittag hatten wir einen Fisch an der Angel. Leider waren es immer „nur“ Goldmakrelen. Wir hätten uns lieber einen Thunfisch gewünscht. Wir waren wohl von den Kapverden zu sehr verwöhnt wurden...

 

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Auf dem nächsten Bild kann man erkennen, dass eine Goldmakrele, wenn sie noch am Leben ist, ihrem Namen allle Ehre macht. Dieser 70 cm langen Goldmakrele schenkten wir jedoch die Freiheit, denn sie war nun wirklich zu groß für uns. Soviel Fisch hätten wir nicht essen können. Zum Glück hing dann am Abend ein kleineres Exemplar am Haken.

 

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Am vierten Tag gab es einen Zwischenfall in der Nacht. Plötzlich nahm der Wind von fünf auf sieben Windstärken zu. Dafür waren nun zuviel Segel gesetzt. Als Marcus die Fock runter holen wollte, verhakten sich die Stagreiter (Befestigung eines Segels) der Fock in den Stagreitern der Genua. Die Segel kamen nun nicht von alleine runter, wie es normalerweise der Fall ist. Doch die beiden ausgebaumten Vorsegel (70m²) mussten bei dem Wind schnell runter. Was tun? Mit seinem ganzen Gewicht zog Marcus an den Segeln und nur Stück für Stück rutschten sie nach unten. Dann flog das Spinnackerfall durch den Wind noch davon. Das war eine Aufregung! Wir konnten daher nur noch mit einem Segel weiter. Am Morgen stieg Marcus in den Mast und klarierte wieder alles. Und ab ging die gewohnte Fahrt mit zwei ausgebaumten Vorsegeln.

 

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Die nächsten Tage verbrachten wir viel mit Lesen. Die Segelstellung passte und die Sonne verwöhnte uns. Es machte richtig Spaß, sich auf dem Atlantik mit seiner kleinen Welt fortzubewegen. Wir versuchten einmal, den Spinnacker zu setzen. Doch durch die starken Schiffsbewegungen im Wellengang „geigte“ dieser hin und her. Frau Mangold schaffte es auch nicht immer, den exakten Kurs zu steuern, so dass der Spi manchmal einfiel. Wir wechselten schnell wieder zur gewohnten Segelstellung. Damit segelten wir zwar etwas langsamer, aber Marcus rechnete aus, dass wir dadurch nur einen Tag später in Guadeloupe ankommen würden. Aber das war alles nur rein spekulativ, da noch über 1.400 Meilen vor uns lagen.

 

 

Wie bereits erwähnt, lasen wir viele Bücher und Zeitschriften. So passierte Folgendes am siebten Reisetag: Wir lasen einen Reisebericht von Kieler Weltumseglern, die wir auch persönlich kennen. Die Kieler segelten damals von den Kapverden nach Brasilien und nicht in die Karibik. Wir stellten uns sogleich die Frage, warum wir dies nicht auch tun. Wir haben doch Zeit und wollen eh eine Saison länger in der Karibik bleiben. Das war der Moment, in dem wir zum vierten Mal über unser Reiseziel nachdachten. Wir waren plötzlich ganz aufgeregt. Sogleich studierten wir eifrig die uns zur Verfügung stehenden Informationen über Brasilien: Seekarten, Berichte, Handbücher usw.

Nach drei Stunden Studium mit anschließender freier Diskussion segelten wir noch eine halbe Stunde unseren alten Kurs Richtung Karibik weiter, obwohl für uns schon feststand, dass es Brasilien sein soll. Schnell änderten wir die Besegelung und noch vorm Dunkelwerden glitt die flow unter Frau Mangold auf 206° Richtung Brasilien. In diesem Moment hatten wir besonders starke Gefühle. Ja, eine Art Freiheit und Abenteuergeist überkam uns. Mitten auf dem Atlantik änderten wir unser Ziel. Das war echte Autonomie! Wir genossen dieses im wahrsten Sinne grenzenlose Gefühl in tiefen Zügen. Über Norbert schickten wir folgenden Text an euch:

 

 

liebe freunde der flow-crew,

 

um es vorauszuschicken: uns geht´s gut und wir sind im flow auf dem großen atlantik. nun haben wir ja viel zeit zum nachdenken und zum lesen über das bisher geplante reiseziel karibik. und dabei passieren doch erstaunliche dinge. völlig überraschend, auch für uns selbst, haben wir in den vergangenen wochen unser ziel dreimal geändert. zuerst dominica anstatt martinique. dann guadeloupe anstatt dominica. und nun (der heutige höhepunkt) brasilien anstatt karibik!!!

dem vorausgegangen war die begegnung mit siggi aus berlin, mit dem wir auf dem kapverden sehr schöne und interessante stunden verbrachten. er war mit der auslöser für die entscheidung, die wir bereits auf den kapverden trafen, in diesem jahr nicht durch den panamakanal zu gehen. damit hätten wir eine saison mehr zeit für die karibik und die nordküste südamerikas. warum so schnell weiter?

aber mit der heutigen entscheidung, änderten wir um 18:30 UTC auf der position 16°53,6´N / 39°31,7´W unseren kurs. neuer Kurs: 206° (hoch am Wind) nach Belem im Rio Para(Brasilien) - gleich südlich des Amazonasdeltas. von dort wollen wir die brasilianische küste gen norden bereisen und natürlich ein stück den amazonas hinauffahren.

 

Damit geht es uns richtig gut und an bord der flow fühlte sich gleich alles richtig abenteuerlich an. tolles gefühl!!!

 

 

 

Am achten Reisetag schafften wir es endlich, eine richtige Einteilung der Nachtwachen durchzusetzen. Bisher schlief Anne viel und Marcus meist auch...

Das sollte aber nicht so weiter gehen, denn irgendwann würden wir in Landnähe sein und da werden mit hoher Wahrscheinlichkeit viele kleine Fischerboote ohne aktives Radar rumfahren. Demzufolge sollte immer einer von uns wach sein und Ausschau halten. Wir teilten die Nacht in einen Zweistunden-Rhythmus ein. Das klappte sehr gut. An diesem Tag bewältigten wir auch die Hälfte der Strecke. Auch Norbert war fleißig und unterstützte uns weiter mit Wetterinformationen. Voller Verständnis für unsere Zieländerung erstellte er eine neue Karte.

 

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Der Atlantik wurde immer wärmer und die fliegenden Fische an Deck immer mehr. Aber an unsere Schleppangel wollte leider keiner mehr anbeißen.

 

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Die kleinen Dinger haben gaaanz große Augen, wenn sie mitkriegen, dass sie nicht mehr von Bord kommen. Arme Geschöpfe! Obwohl einige Segler fliegende Fische essen, haben wir daran überhaupt nicht gedacht. Unsere Exemplare waren allerdings auch nur höchstens 15 cm lang.

 

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Auch dieser Kalamaris landete an Deck und hinterließ in großer Angst seine Tinte, die unser Deck sepia färbte.

 

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Bis zum 11. Reisetag war alles super. Frau Mangold steuerte hervorragend. Wir mussten nur die Segel je nach Wind mal verkleinern oder vergrößern. Manchmal gab es ein paar Wolken am Himmel, doch die Sonne hatte noch die Kraft, sich gegen die Regenwolken durchzusetzen. Temperatur und Luftfeuchtigkeit stiegen ständig – wir nähern uns den Tropen.

 

 

 

 

 

Am 12. Reisetag war plötzlich bis zu einem Knoten Strömung gegen uns – der sogenannte Äquatoriale Konvergenzstrom. Die Etmale sanken von 145 Meilen auf 110 und am 13. Reisetag auf gerade mal 100 Meilen. Die Wellen passten sich den neuen Bedingungen an und wurden steil und kurz. Wir schauten lieber nicht nach hinten, die Geräusche der brechenden Wellen verrieten genug.

 

 

Am 14. Reisetag, dem 15.01.2008, gab es die Wende in unserem bisher sonnigem Reiseverlauf. Es waren nur noch 400 Meilen bis zum Ziel. Ein Regengebiet mit dicken schwarzen Wolken zog über uns hinweg und ließ uns schwitzend die Segel verkleinern. Obwohl die herannahende Wolkenfront wie eine Gewitterfront aussah, wurden wir zum Glück von Blitz und Donner verschont. Die Blitze wären vielleicht in die höchste Stelle auf dem Ozean eingeschlagen – den Mast der flow...

 

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Stundenlang prasselte der Regen auf uns nieder. Die elektrische Anzeige für die Geschwindigkeit und die Tiefe fiel plötzlich aus. Am Spinnackerbaum war ein Beschlag bedenklich lose und eine Leine riss beim Wegnehmen des Baumes. Außerdem musste der Kopfbeschlag vom Großsegel neu mit einem Mastrutscher vernäht werden. All diese Arbeiten erledigte Marcus bei strömenden Regen und wenig Wind. Das hinterließ deutliche Spuren ...

 

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Anne verkroch sich in der Zwischenzeit in den Bauch der flow und bastelte die brasilianische Flagge. Leider waren die grünen Buntstifte nicht ganz wasserfest. So musste sie nochmals drüber malen. Dennoch blieben Reste des ersten Anstrichs übrig, was sich später bei dem ständigen Regen in Brasilien auf dem Deck bemerkbar machte. Dies dauerte aber nur einige Tage, weil Anne die Flagge gekonnt in eine Klarsichthülle verpackt hatte. Dadurch stand die Flagge wie ´ne Eins unterhalb der Saling, auch wenn kein Wind wehte. Die Brasilianer waren sicher stolz auf uns.

 

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Unser Wetterstudio Norbert versorgte uns auch mit wichtigen allgemeinen Information, wie zum Beispiel die Inschrift der brasilianischen Flagge. Hättet Ihr das gewusst? Die brasilianische Flagge war in unserem Flaggenbuch leider so klein dargestellt, dass man selbst mit Lupe keine Buchstaben erkennen konnte. Mit der Mail von Norbert konnte Anne mit geschickter Hand die Flagge fertig stellen.

 

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Als am nächsten Tag die Sonne zum Vorschein kam, nutzten wir die Zeit, um Wäsche und uns zu trocknen sowie „die Nase in die Sonne zu stecken“.

 

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Diese sonnigen Abschnitte beschränkten sich meist nur auf den Vormittag. Gegen Mittag, man konnte fast die Uhr danach stellen, zogen wieder Wolken auf, die natürlich auch Regen mit sich brachten. Wir hatten fast immer Glück mit dem Wind, der an Stärke nur kurzzeitig zunahm und nach dem Durchzug von dicken schwarzen Wolken wieder auf normale Stärke abnahm. So konnten wir uns das Segelreffen sparen. Da wir keine Regatta gewinnen wollten, fielen wir eben etwas ab. Dadurch nahm der Druck in den Segeln ab und die flow war wieder ohne Problem zu steuern. Wir segelten vielleicht eine halbe Stunde auf einem anderen Kurs. Aber was sind schon drei Meilen oder ist eine halbe Stunde, wenn man noch 300 Meilen vor sich hat?

 

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Dieses Glück hatten wir aber nicht immer. Einmal mussten wir hastig die Segel bergen, als uns der Wind plötzlich mit zuerst neun Windstärken (41 Knoten) und später mit sieben Windstärken für mehrere Stunden vorantrieb. Ab da waren wir gewarnt und sahen in jeder herannahenden schwarzen Wolkenfront eine Acht- Beaufort-Wolke.

 

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Am 16. Reisetag stand die Äquatortaufe auf dem Programm. Wir dachten ja, der gestrige Tag war schon eine Herausforderung für uns. Doch was an diesem Tag passierte ...! Am Morgen verwöhnte uns wie an jedem Tag die Sonne. Wir konnten die gestern benutzten Leichtwindsegel trocknen und sie wieder unter Deck verstauen. Nach dem Mittag kam wie immer eine Wolkenwand auf uns zu. Das gleiche Spiel wie jeden Tag, dachten wir uns. Wir verkleinerten die Segel und im Regen düsten mit sehr wenig Segelfläche dahin, da der Wind auf sieben Windstärken zulegte. Doch der Wind wollte nicht mehr abnehmen! Der Windmesser zeigte permanent zwischen 33 und 38 Knoten an. Das sind sieben bis acht Windstärken. Die Wassertiefe sank auf 30 Meter. Da wir nur noch 35 Meilen bis zur Einfahrt in den Rio Para zurücklegen mussten, drehten wir bei. Bei solchen Wetterbedingungen wollten wir nicht in die schmale Einfahrt zum Rio Para bei dort vorherrschenden elf Meter Wassertiefe und enormer Strömung einlaufen. Man hätte mit kurzen, steilen, brechenden Wellen rechnen müssen, da zu diesem Zeitpunkt die Strömung gegen die Wellenbewegung ankämpfte.

Während die flow beigedreht mit 0,5 bis 1 Knoten dahindriftete, der Regen auf uns mit voller Wucht prasselte, lagen wir in unseren Kojen. Nun verließ uns langsam die Lust auf eine ordentliche Äquatortaufe. Doch nach zwei Stunden setzten wir wieder Segel. Diesmal nicht soviel, weil wir die Befürchtung von neuen Attacken des Wettergottes hatten.

So ging es mit gemächlicher Fahrt Richtung Äquator. Diesen überquerten wir in der Nacht zum 19. Januar 2008. Zu diesem Zeitpunkt regnete es ausnahmsweise mal nicht und wir ließen uns dadurch überreden, einen Schluck Hansen-Rum zu trinken. Wir dachten dabei an unsere Stimmung und die des Windgottes, Ihr wisst schon...

Also alles sehr unspektakulär. Dennoch war es wohl etwas zuviel Schnaps für Marcus, denn er ließ eine Winschkurbel (unsere Beste) über Bord gehen, als mal wieder das Segel verkleinert werden musste.

 

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Auf einem großen Frachter gab es wahrscheinlich mehr Spaß. Kurz vor der Überquerung des Äquators fuhr er ganz dicht an uns vorbei. Hätten wir den Kurs nicht geändert, wären wir vielleicht sogar zusammengestoßen. Er war auf dem Weg in den Amazonas. Er lief direkt auf dem Äquator entlang und fuhr ein Stück nach Norden und dann wieder nach Süden, so dass wohl jeder an Bord auf den Äquator anstoßen konnte. Nur so konnten wir uns die „Schlängellinie“ erklären.

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In einer Mail von Norbert war die Gewitterfront, die über uns hinwegzog, deutlich dargestellt. Diese Mail riefen wir aber erst am frühen Morgen ab. Da war das Gröbste vorbei. Aber, was wäre anders gewesen, hätten wir es vorher gewusst? Ja, wir wären gewarnt gewesen. Doch an den seglerischen Entscheidungen hätte es wahrscheinlich nichts geändert. Wir hatten praktisch keine Möglichkeit, uns schnell genug vor dem Gewitter zu verkriechen...

 

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Auch diese Nacht überstanden wir und liefen bei Anbruch des Morgens in den Rio Para ein. Enttäuscht suchten wir nach Land. Doch es war keines zu sehen. Das war auch kein Wunder, denn an der Mündung ist der Fluss ca. 30 Meilen (ca. 60 km) breit. Nur die Wassertiefe (15 Meter) und die braune Farbe des Flusses verriet, dass Land nicht weit weg sein kann. Als wir weiter in den Rio Para fuhren, erblickten wir endlich, nach 17 Tagen auf See, das südliche Flussufer. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist! Selbst wir können es nicht in Worte fassen. Es ist etwas, was wir vorher noch nie empfunden hatten. Wir waren so gespannt, wie die Ufer, die Häuser, die Menschen – einfach alles - aussehen. Doch es dauerte noch seine Zeit, bis wir näher an´s Ufer kamen.

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Die durchwachte Nacht machte sich langsam bei uns bemerkbar. Wir hatten keine Lust mehr, die Segel zu verkleinern, wenn mal eine Regenfront durchzog. So dümpelten wir mit wenigen Knoten Richtung Belem. Doch Kaffee und eine Riesen-Milka-Schokolade machte uns wieder munter und verlieh enorme Kräfte.

 

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Danach ging das Setzen von größeren Segeln so kinderleicht wie am ersten Tag und wir machten wieder gut Fahrt. Doch mussten wir höllisch aufpassen. Mitten im Fluss waren Fischernetze ausgelegt. Zum Teil schwammen sie sogar an der Wasseroberfläche. Glücklicherweise warteten die Fischer in ihren Booten immer in der Nähe ihrer Netze. Als sie uns sahen, gaben sie Vollgas und hielten auf uns zu. Dabei verschwanden sie fast in der Qualmwolke ihrer alten Dieselmotoren. Mit wilden Handbewegungen zeigten sie uns den Weg aus dem Labyrinth. Also, bei Nacht hätte man hier mit einem tiefgehendem Segelschiff wie der flow sehr schlechte Karten...

 

Da war für den Rudergänger volle Konzentration angesagt. In diesem braunen Wasser wollten wir nicht tauchen, um die flow aus Netzen zu befreien. Zusätzlich hätten wir auch noch die Lebensgrundlage der Fischer zerstört.

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Wie gesagt, die Fischer hielten sich zum Glück in der Nähe ihrer Netze auf. Sie lagen dort auf kleinen wackeligen Holzbooten vor Anker. Die Wellen ließen die Kähne bedenklich schaukeln, doch der Besatzung machte dies scheinbar nichts aus. Es war interessant, sie auf ihren manchmal bunten, aber ärmlichen Booten zu beobachten.

 

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Gegen Nachmittag war die Strömung mit bis zu drei Knoten mit uns und mit schneller Fahrt nahmen wir die letzen 25 Meilen in Angriff. Da wir es bis nach Belem bei Tageslicht nicht mehr geschafft hätten, suchten wir uns einen Ankerplatz. Den liefen wir leider im Regen an. In der Seekarte war eine Mole eingezeichnet. Uns war es egal, dass der Schwell ungehindert hinter die Mole lief. Wir wollten nur schlafen, nach 17 Tagen und Nächten mal wieder durchschlafen ... wir fielen von dieser Anstrengung wie benommen in die Kojen.

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Am Morgen sahen wir uns herrlich ausgeschlafen von Bord aus um. Wir lagen vor der Stadt Icoaraci in BRASILIEN. Wir konnten es immer noch nicht glauben, dass wir auf der anderen Seite des Atlantiks sind. Doch die Geräusche und die Vegetation an der Küste machten wirklich einen fremdartigen Eindruck auf uns. Amazonien in Echigkeit!

 

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Während wir frühstückten, beobachteten wir das braune Wasser, das an uns vorbeifloss: ganze Baumstämme, eine kleine Holzhütte, Pflanzenteppiche und allerlei undefinierbare Dinge schwammen an uns vorbei. Sehr eigenartig.

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Da sich bei unserem Ankermanöver eine Leine zwischen Ruderblatt und Rumpf vertütelt hatte, wollte Marcus danach tauchen. Weil das Wasser aber so braun war und so viel Undefinierbares darin schwamm und wer weiß was noch, zog sich Marcus lieber Sachen an und stieg ins Wasser. Zum Glück konnte er die Leine herausschneiden, ohne ganz abzutauchen zu müssen. Während er so werkelte, erblickte Anne eigenartige Wesen, die in der Nähe der flow auftauchten und ihre Rückenflosse zeigten. Freundlicherweise erzählte sie dies Marcus erst, als er wieder oben war. (Damals wussten wir noch nicht, dass es Flussdefline waren.)

 

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Wir warteten solange, bis die Strömung mit uns war. Der Anker ging ohne Problem hoch und wir motorten zu der noch 11 Meilen entfernten Stadt Belem. Da wir kaum eine Vorstellung vom Lebensstandard der Menschen hier hatten, überraschte uns der Anblick der Küste sehr. Sie zeichnete sich vor allem durch Schiffswracks und Holzhäusern auf Stelzen aus. Waren das Slums? Das Wasser wurde zunehmend dreckiger und beförderte unzähligen Abfall. Ja, wir waren wirklich in einem anderen Land – BRASILIEN!

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Und dann erschien uns die Skyline von Belem. Wir dachten, dass wir in einer modernen sauberen Stadt festmachen werden. Dort wird es sicherlich auch die uns fehlenden Ausrüstungsgegenstände geben.

 

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Wir hatten eine ungefähre Ahnung, wo wir hinkönnten. Als wir unseren GPS-Wegpunkt erreicht hatten, lag da ein Katamaran an der Pier - ein Deutscher! Zahlreiche „Zuschauer“ standen an der Pier. Das war uns aber alles egal, da der Eigner des Kats uns anbot, bei ihm festzumachen. Wir gingen also längsseits. Erst einmal wollten wir uns informieren und vielleicht in den nächsten Tagen weiter.

 

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Was in den nächsten Tagen dann alles geschah, berichten wir im nächsten Reisebericht...

 

 

 

FORTSETZUNG FOLGT....